Missbrauch – „Ich glaube, es gibt keine Frau, die nicht so was erlebt hat“


            Missbrauch – „Ich glaube, es gibt keine Frau, die nicht so was erlebt hat“

Maria Schrader wurde als Schauspielerin 1997 Mit „Aimée & Jaguar“ über eine lesbische Liebe in der Nazi-Zeit berühmt Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Von Markus Tschiedert

Nach ihrem Riesen-Erfolg mit der Netflix-Serie „Unorthodox“ hatte Maria Schrader (57) die Wahl. Die gebürtige Hannoveranerin, die seit über 30 Jahren in Berlin lebt, entschied sich für die Hollywood-Produktion „She Said“. Das Drama erzählt von zwei US-Journalistinnen, die den Filmmogul Harvey Weinstein wegen sexuellen Missbrauchs zu Fall brachten. Wir trafen sie zum Gespräch im Hotel Ritz-Carlton am Potsdamer Platz.

B.Z.: Ein Film über Harvey Weinstein. Da konnten Sie gar nicht Nein sagen, oder?

Maria Schrader: Also ich fühlte mich sehr gemeint, gleichzeitig war ich ganz schön überrascht, dass diese Geschichte bei mir landet. Im Sinne dieses Projektes war sicherlich auch, dass ich nicht mit Hollywood verbandelt bin und mir kein Befangenheitsvorwurf gemacht werden kann.

Spielte es auch eine Rolle, dass der Stoff unbedingt von einer Frau umgesetzt werden müsste?

Das ist eine so amerikanische Geschichte, aber ich hoffe, man spürt es auch im Film, dass es um die spezifische Recherche geht mit all dem, was am Wegesrand noch so entdeckt wird und wie das systemisch und gesellschaftlich verankert ist. Wie ist es also als Frau, in einer männerdominierten Arbeitswelt groß zu werden?


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Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) enthüllen den Weinstein-Skandal Foto: Universal Pictures

Wie empfinden Sie das?

Na ja, warum hat die Sexualität von Mann und Frau so unterschiedliche Narrative? Warum ist es schambelastet über so etwas wie im Film zu sprechen? Und warum ist es nicht schambelastet, wenn mir jemand 5000 Euro stiehlt? Da gehe ich doch auch zur Polizei. Da gibt es etwas, was über Harvey Weinstein hinausgeht.

Wie meinen Sie das?

Es kommt ja nicht allein nur im Filmgeschäft zum sexuellen Machtmissbrauch. Das kann auch im Krankenhaus nebenan passieren. Überall, wo Hierarchien existieren, die falsch bespielt werden, wo Angst verbreitet wird und ökonomische Abhängigkeiten bestehen. Da wird der Boden für solche toxischen Geschichten genährt.

Wie viel Muffensausen hatten Sie gleichzeitig vor diesem Thema?

Das war schon einschüchternd und ich will auch nicht sagen, dass da keine Angst mit im Spiel war. Vielleicht bin ich auch ein bisschen größenwahnsinnig, aber ich habe nicht gezögert. Irgendwas in mir hat vielleicht gedacht, dazu könnte ich einen Beitrag leisten. Letztlich habe ich es mir zugetraut, gleichzeitig war da auch die Angst, vor allem in der Vorbereitungszeit.


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Filmplakat zu Maria Schraders neuer Regiearbeit „She Said“ Foto: PR

Was war da so schwierig?

Wegen Covid kam ich nicht raus aus Berlin. Die amerikanische Botschaft war geschlossen, alles musste über Zoom kommuniziert werden. Das ganze Casting lief darüber ab. Das waren schon erschwerte Bedingungen, aber dieser Wahrheitsgehalt dieser Geschichte war es wert.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie 2017 den Weinstein-Skandal wahrgenommen haben?

Ich habe diese Zeit als bewegte Wochen in Erinnerung. Ich habe weder Instagram, Facebook oder Twitter, sondern habe sehr viele Zeitungen gelesen und viele Gespräche geführt. Man hatte das Gefühl, es passiert jetzt was. Ich dachte natürlich auch an meine eigenen Erlebnisse und wie viel davon ich längst vergessen hatte.

Ihnen ist also auch so was passiert?

Da fängt es halt an. Was ist ‚so was‘? Wir sprechen dabei über ein sehr breites Spektrum, was damit gemeint sein könnte. Ich glaube, es gibt keine Frau, die nicht so was erlebt hat, was man vor vielleicht sechs Jahren noch als ‚verunglücktes Kompliment‘ oder ‚Kavaliersdelikt‘ von einem Mann deklariert hätte.


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Maria Schrader (mit Maske) bei den Dreharbeiten zu „She Said“ Foto: Universal Pictures

Wo fängt das Spektrum denn für Sie an?

Das fängt schon mit so einem äußerlichen Scan oder einer sexistischen Bemerkung an, die gar nicht so wahrgenommen wurde. Es gab einfach mal eine Normalität, in der Frauen viel eher als Objekte betrachtet worden sind. Natürlich habe auch ich unangemessene Bemerkungen x-fach erlebt. Auf der anderen Seite ist das justiziable Verbrechen. Dazwischen gibt es sehr, sehr viele Abstufungen, und die müssen untersucht und neu benannt werden.

Glauben Sie, dass sexueller Machtmissbrauch in der US-Filmbranche stärker ausgeprägt ist als in Deutschland?

Ehrlich gesagt, fehlt mir das empirische Wissen, um eine allgemeingültige Aussage zu machen. Man kann sich aber darauf einigen, dass sich die Filmindustrie in Deutschland ein kultursubventioniertes Arbeitsfeld ist. Zu dieser Art von gebündelter Macht an der Spitze eines Studios kann es in Deutschland kaum kommen. Und dennoch haben wir ja auch gelesen, was für eine Komplizenschaft in Sendern geherrscht hat.

Gibt es Situationen, in denen Sie als Frau Angst haben, etwa nachts allein auf der Straße zu sein?

Ich glaube, das ist bei Frauen immer da. Diese Angst vor Gewalt in dem Moment, wo Nein gesagt wird. Da habe ich das Gefühl, das gibt es nur in eine Richtung. Dass Männer vor Frauen Angst bekommen, ist gewiss seltener. Es gab etliche Situationen in meinem Leben, in denen ich Angst hatte, nachts allein mit der U-Bahn zu fahren oder das Gefühl bekam, jemand verfolgt mich und ich muss ganz schnell zur nächsten beleuchteten Tankstelle.

23 Jahre Haft für Filmmogul Weinstein

Harvey Weinstein (70) gehörte einst zu den mächtigsten Männern Hollywoods. Als Produzent war er an Erfolgsfilmen wie „Pulp Fiction“, „Der englische Patient“ und „Der Herr der Ringe“ beteiligt. Seine Macht nutzte der fünffache Vater, um Frauen sexuell zu bedrängen.


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Jodi Kantor (l.) und Megan Twohey deckten den Weinstein-Skandal auf Foto: FilmMagic

Viele Schauspielerinnen, darunter Angelina Jolie, Salma Hayek, Gwyneth Paltrow und Ashley Judd, waren betroffen. Obwohl es ein offenes Geheimnis war, schwiegen die meisten Frauen, meist aus Scham.

Bis die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey am 5. Oktober 2017 in der New York Times erstmals von Harvey Weinsteins sexuellen Übergriffen berichteten. Als Folge wurde die #MeToo-Bewegung ausgelöst.

Immer mehr Frauen, u.a. die Schauspielerinnen Asia Argento und Annabella Sciorra, meldeten sich und klagten ihn sogar wegen Vergewaltigung an.


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Harvey Weinstein (70) gehörte einst zu den mächtigsten Männern Hollywoods Foto: AP

Weinstein landete vor Gericht und wurde im März 2020 zu 23 Jahren Haft verurteilt.

Eine Quelle: www.bz-berlin.de

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